Vier Tage vor der Abstimmung steuern die Präsidentenwahlen in Iran auf eine Blockbildung zwischen den beiden großen Lagern von Hardlinern und Ultrakonservativen beziehungsweise Moderaten und Reformern zu.

Ultrakonservative und Hardliner

Nach dem Rückzug des Hardliners Haddad Adel und dem Verzicht des Reformers Aref (den viele nicht als solchen anerkennen) konzentrieren sich die Stimmen auf die vier Kandidaten der Ultrakonservativen und den Rafsandjani-Verbündeten Hassan Rouhani, der inzwischen auch offziell von Ex-Präsident Khatami und der Reformerpartei Mosharekat (Partizipationsfront des islamischen Iran) unterstützt wird. Mohammad Gharazi, der in den TV-Debatten vor allem mit revolutionären Steinzeit-Parolen glänzte, spielt in den Umfragen keine Rolle.

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Das zeigt die neueste, bisher einzig glaubwürdige Wahl-Umfrage von IPOS, die zugleich das Dilemma der Hardliner offenbart. Führend ist nach wie vor der Teheraner OB Qalibaf mit rund 27 Prozent der Stimmen. Allerdings hat er nach den TV-Debatten, in denen ihm seine Gegner aus dem Reformerlager die blutige Niederschlagung der Studentenproteste von 1999 vorwarfen, erheblich an Stimmen eingebüßt. Qalibaf brüstet sich im Wahlkampf nicht nur mit seinen Großtaten als Oberbürgermeister der Hauptstadt, er beruft sich auch auf die Unterstützung von IRGC-General Ghassem Soleimani, Anführer der im Ausland operierenden Quds-Brigaden, der auf der Sanktionslisten der USA und EU steht.

2+1 - Velayati, Haddad Adel, Qalibaf

Koalition 2+1: Velayati, Haddad Adel, Qalibaf

Ihm gegenüber steht Ali Akbar Velayati, Ex-Außenminister und aktuell Khameneis außenpolitischer Berater, der sich bei der dritten Fernsehrunde der Kandidaten abfällig über die Niederlage von Chef-Unterhändler Said Jalili (Dschalili) bei den Atomgesprächen mit der Sechsergruppe geäußert hatte. Mit rund 11 Prozent liegt er zwar im guten Mittelfeld, dürfte aber nach dieser offensichtlichen Attacke gegen Khameneis Atompolitik kaum mit Unterstützung aus dem „Beyt-e Rahbari“, den Organisationen des Obersten Führers, rechnen können. Es ist allgemein bekannt, dass Jalili dessen harte Linie gegenüber den Europäern vertritt.

Bisher hat sich Jalili nur durch schrille antiwestliche Parolen und reaktionäre Slogans zur „islamischen Lebensführung“ hervorgetan. Außerdem plädiert er für Khameneis „Widerstands-Wirtschaft“ – mit konkreten Verbesserungen der Lage ist also nicht zu rechnen. In Iran gilt er deshalb vielen als Kopie von Mahmoud Ahmadinedjad, dessen anti-israelische Hetze und katastrophale Wirtschaftspolitik zu härtesten internationalen Sanktionen, galoppierender Inflation, steigender Arbeitslosigkeit und Nullwachstum geführt haben. „Wenn der Diktator herrscht, genügt sein Wort“ heißt es auf diesem Poster in Anspielung auf die Parolen, die Khameneis Favorit folgsam wiederkäut.

jalili diktator

Said Jalili liegt prozentual etwa gleichauf mit dem Ex-General Mohsen Rezaei, der als gemäßigter Konservativer gilt, sich aber aus keinem Lager entsprechende Unterstützung sichern konnte. Wie Qalibaf hat sich Rezaei schon mehrmals zur Wahl gestellt, vergebens. Ihm werden gute Kontakte zu den Wirtschaftsbossen unter den Revolutionsgarden nachgesagt, an dessen illegalen Geschäften er eifrig mitverdient. Sollte er wider Erwarten nächster Präsident werden, könnte es zu Problemen mit Auslandsreisen kommen: seit dem Bombenanschlag auf das jüdische AMIA-Zentrum in Buenos Aires (1994) wird Rezaei steckbrieflich von Interpol gesucht.

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Moderate Konservative, konservative Reformer und Stimmensplitting

Mit ehemals zwei, inzwischen nur noch einem Kandidaten stehen die moderaten Konservativen aus dem Lager des disqualifizierten Ex-Präsidenten Rafsandjani und die konservativen Reformer rein zahlenmäßig ungleich schlechter da. Nach dem Rückzug von Aref, der trotz anhaltendem Hausarrest von Moussavi, Rahnavard und Karroubi als Anführern der Grünen Bewegung angetreten war, entfallen insgesamt 23 Prozent aller Stimmen auf dieses Lager – gegenüber 70 Prozent für sämtliche Kandidaten der herrschenden Hardliner. 

Diese Zahlen stellen übrigens nur einen Wahltrend und nicht die endgültige Stimmenverteilung dar, wie der exilierte Soziologe Hossein Ghazian im Gespräch mit Ofogh betonte (Video hier). 30 Prozent aller Befragten würden nicht zur Wahl gehen, weitere 30 Prozent hätten sich noch gar nicht entschieden. Erfahrungsgemäß würden sich die Wähler in Iran erst kurz vor der Abstimmung für einen der Kandidaten entscheiden.

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Shargh: Kandidaten Aref und Rouhani

Dennoch ist angesichts der Differenzen unter den sogenannten „Prinzipientreuen“ (osul-gerayan) nicht mit deren Wahlsieg im ersten Durchgang zu rechnen. Tatsächlich haben sie es trotz aller Ermahnungen Khameneis in den vergangenen Monaten nicht geschafft, sich auf einen Spitzenkandidaten zu einigen. Zudem beweisen die scharfen Attacken Velayatis gegen Jalili, dass der harte außenpolitische Kurs des Obersten Führers auch innerhalb der Hardliner nicht unumstritten ist. Laut iranischen Experten gilt dies insbesondere für die moderaten Hardliner der Motalefe-Partei, die ebenso wie die verbündeten Basaris unter den harschen Wirtschaftssanktionen leiden. Beide Gruppen wie auch die gemäßigten Geistlichen sind in der achtjährigen Amtszeit Ahmadinedjads politisch isoliert und von Khatam al-Anbia und weiteren Konzernen der Revolutionsgarden weitgehend aus dem Geschäft gedrängt worden.

Insofern dürfte am kommenden Freitag keiner der rivalisierenden Hardliner die notwendige Stimmenmehrheit erreichen. Wahrscheinlich wird der nächste Präsident der Islamischen Republik erst nach dem zweiten Wahlgang am 21. Juni feststehen. Dabei spielen Ahmadinedjad und sein Lager, nach der Disqualifizierung ihres Wunschkandidaten Rahim Mashaei politisch kaltgestellt, wohl keine entscheidende Rolle mehr.

Ob der neue Reformerkandidat Rouhani es in die zweite Runde schafft, ist, abgesehen von erwarteten Wahlmanipulationen durch die Revolutionswächter, ebenso unsicher, wie der Wahlausgang an sich. Vermutlich werden Qalibaf, Jalili und Velayati den Endspurt unter sich ausmachen.


Wo in aller Welt fordert ein Putschpräsident „freie Wahlen“ für seinen Verbündeten, kandidieren gleich 20 der alleinherrschenden Hardliner fürs Präsidentenamt, oder fördert der Sohn des gestürzten Monarchen ein demokratisches Bündnis? – Natürlich in Iran.  

Was sich knapp 50 Tage vor den Präsidentschaftswahlen in der Islamischen Republik abspielt, hat das Zeug zu einer Polit-Posse, wenn das Thema nicht so ernst wäre.

Wer hätte im Juni 2009, als Herr Ahmadinedjad nach grandioser Wahlfälschung des Obersten Führers Khamenei und der Revolutionswächter abermals zum „Präsidenten“ gekürt wurde, gedacht, dass dieser eines Tages landesweit vor leeren Rängen „freie Wahlen“ fordern würde. Die unfassbare Nachricht, dass der verhasste Hardliner mit 24 Millionen Stimmen die Wahl gewonnen hat, sorgte vor vier Jahren für monatelange, blutig niedergeschlagene Proteste der sogenannten „Grünen Bewegung“, die die vermeintliche Niederlage ihrer Kandidaten Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi nicht widerspruchslos hinnehmen wollte. Millionen Iraner gingen auf die Straße und fragten zornig „Wo ist meine Stimme?“

Demonstration in Teheran (Juni 2009)

Demonstration in Teheran (Juni 2009)

Der Rest der Geschichte ist bekannt: mehr als 100 Demonstranten wurden auf offener Straße erschossen, totgeschlagen, überfahren, oder im Gefängnis von Kahrizak zu Tode gefoltert. Neda Agha Soltan, Sohrab Aarabi und Mohsen Rouholamini stehen stellvertretend für all die anderen Protestopfer, deren Identität aus Furcht vor staatlichen Repressionen sogar bis heute teils unbekannt geblieben ist.

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Neda Agha Soltan, 20. Juni 2009, Teheran

Tausende oppositionelle Demonstranten und Politiker, aber auch Anwälte, Journalisten und Studenten sitzen seither im Gefängnis, während die Oppositionsführer Moussavi, Rahnavard und Karroubi mehr als zweieinhalb Jahre ohne formale Anklage und ohne Rechtsbeistand unter „Hausarrest“ stehen.

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Konnten Ahmadinedjad und das Regime sich nach dem Wahlputsch von 2009 bei jeder staatlich verordneten Demonstration noch der Unterstützung durch Millionen rühmen, so ereifern sich staatlich gelenkte Medien inzwischen, möglichst eindeutige Beweise für seine Unpopularität zu liefern.

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Ahmadinedjad auf Provinztour in Tabris, 28. April 2013

Schließlich hat sich seit März 2012, als Ahmadinedjad sich wegen der Entlassung des  Geheimdienstministers Moslehi mit Khamenei überwarf, das Blatt gewendet. Der einstige Liebling des Führers mutierte zum Buhmann der Hardliner, und mit ihm die „jaryan-e enherafi“, die sogenannten Abweichler rund um seinen engsten Verbündeten Rahim Mashaei. In Anbetracht erdrückender westlicher Sanktionen, galoppierender Inflation, Währungsverfall und Wirtschaftskrise braucht es einen Sündenbock, um vom Versagen der alleinherrschenden Hardliner (osul-garayan), Khameneis und der omnipotenten Revolutionsgarden abzulenken.

Je schriller Ahmadinedjad „freie Wahlen“ fordert und seinen Rivalen mit „Enthüllungen“ über Korruption droht, desto lauter drohen die Militärs von Khameneis Gnaden zurück. Obwohl Revolutionsgarden und Sicherheitskräften sogar laut Verfassung der Islamischen Republik die Einmischung in die Politik untersagt ist, verbreiten sie seit Wochen den Slogan vom „Dirigieren der Wahlen“, eine kaum verhüllte Umschreibung für Wahlmanipulation.

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Mein Mann ist Ingenieur, Wahl-Ingenieur! (Mana Neyestani)

Derweil befindet sich das Lager der politisch irrelevanten Reformer im Zustand totaler Ratlosigkeit: Soll man an den Wahlen teilnehmen, obwohl keine der Bedingungen von Ex-Präsident Khatami erfüllt worden ist? Weder wurden die politischen Gefangenen inklusive der Oppositionsführer freigelassen, noch können die Reformer frei für ihre Agenda werben. Stattdessen lässt das Regime ihre Mitglieder verhaften (wie kürzlich Jamileh Karimi in der Fars), oder ihre Presseorgane (Shargh, Etemad usw.) alle paar Monate verbieten.

Bei den Hardlinern sieht es allerdings auch nicht besser aus. Seit Wochen schießen Wahlbündnisse wie Pilze aus dem Boden. Seien es Khameneis vermutete Favoriten Velayati, Haddad Adel und Qalibaf, die sogenannten „2+1“ (für alle, die nicht bis 3 zählen können), seien es gemäßigte Konservative wie Ex-Atomunterhändler Hassan Rouhani, oder der glücklose ewige Kandidat und Ex-Kommandeur Mohsen Rezaei. Lauter Pappkameraden, die sogar unter ihresgleichen kaum Rückhalt haben, geschweige denn in der Bevölkerung. Hauptsache, man überschlägt sich in Ergebenheitsadressen an Khamenei, der leutselig verkündet, er habe auch nur eine Stimme – die wiegt allerdings 70 Millionen Wählerstimmen auf.

2+1 - Velayati, Haddad Adel, Qalibaf

2+1: Velayati, Haddad Adel und Qalibaf

Als einzig aussichtsreiche Kandidaten drücken sich Rafsandjani und Khatami weiterhin vor einer klaren Zusage, fordern eine Öffnung der Wahlen für alle politischen Lager, während den Kindern des einen (Faezeh und Mehdi Hashemi) der Prozess gemacht und dem anderen die Ausreise verweigert wird.

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Rafsandjani und Khatami: Wir haben noch nicht nein gesagt… (Nikahang Kowsar)

Und was ist mit der Grünen Bewegung, besser gesagt, ihren politischen Forderungen? Vier Jahre später spielt die sogenannte „jaryan-e fetneh“ (Bewegung der Umstürzler) im Wahlkampf kaum mehr eine Rolle. Und doch beweisen politische Blockade wie Zerrissenheit  des Landes, dass ihre Forderungen das Regime in eine tiefe Identitäts- und Legitimationskrise gestürzt haben, über die auch die ständigen Drohungen der Revolutionsgarden, radikalen Freitagsprediger und allen voran Khamenei nicht hinwegtäuschen können.

Egal, wer am Ende als „Wahlsieger“ dastehen wird – solange die Islamische Republik grundlegende Forderungen der verstummten, rechtlosen Bevölkerungsmehrheit nicht zu erfüllen bereit ist, ist eine Besserung der Lage nicht zu erwarten, weder in politischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht. 

Farakhan Melli logo

In dieser Situation könnte der Iranische Nationalrat, der dieser Tage in Paris über Agenda und Mitglieder berät, als Sammelbecken für all die Verstummten in Iran dienen und den Weg zu einer echten Demokratie unter Beteiligung aller konfessionellen, ethnischen und professionellen Gruppierungen ebnen. In seiner Ansprache betonte Reza Pahlavi unter Hinweis auf den Arabischen Frühling zwei Punkte, die mir bedenkenswert erscheinen:
1. Die Entscheidung für eine wie auch immer geartete Regierungsform, ob Republik oder Konstitutionelle Monarchie, bedeutet noch längst nicht, dass ihre Anhänger bei den nachfolgenden freien Wahlen auch eine Mehrheit finden. 
2. Ein demokratisches Programm ist keine Gewähr für die Errichtung einer Demokratie. Sie lässt sich nur durch die Bildung demokratischer Institutionen unter Einbeziehung aller politischen Kräfte erringen.